Dr. Sven Sappelt, Gründer des C60/Collaboratoriums in Bochum, im Interview
Über welche besonderen Potenziale verfügt das Ruhrgebiet, um für Akteure der Kreativwirtschaft attraktiv zu sein?
Grundsätzlich herrscht ein sehr positives Klima in der Region. Man spürt – nicht zuletzt im Nachklang der Kulturhauptstadt 2010 – dass viele auf Veränderung eingestellt sind und neue Entwicklungen begrüßen. Es gibt eine ganze Reihe an Pluspunkten: dank der Hochschulen gibt gut ausgebildete Leute, die etwas auf die Beine stellen; die Lebenshaltungskosten sind moderat; die Leerstände bieten viel Raum für wenig Geld; die Konkurrenz ist vergleichsweise gering. Da ist also noch sehr viel Spielraum für mehr Akteure und künftige Entwicklungen.
Gleichzeitig ist der allgegenwärtige Wunsch nach Veränderung allerdings auch schlicht der Tatsache geschuldet, dass man sich in einer Krisenregion befindet, die noch immer mit den Herausforderungen des Strukturwandels zu kämpfen hat. Allen ist klar, dass man sich bewegen oder sogar neu erfinden muss. Damit entsteht ein Paradox: alle beschwören die Innovation – aber wenn dann etwas Neues gewagt wird, melden sich schnell altbekannte Probleme zurück.
Welche Rahmenbedingungen müssten verbessert werden, um die Attraktivität der Region für die kreative Szene zu steigern?
Da gibt es verschiedene Faktoren. Letztlich geht es vielleicht um die richtige Mischung aus Verdienstmöglichkeiten, Gestaltungsspielräumen, Entwicklungsperspektiven, Aufenthaltsqualität, Inspiration und Lebensgefühl. Wenn wir über die Verbesserung von Rahmenbedingungen sprechen, sind wir aber freilich vor allem bei der Politik. Die regierenden Parteien tendieren dazu, kreative Leistungen primär anhand von Masse und Besucherzahlen zu beurteilen. Dementsprechend freut man sich am liebsten über niedrigschwellige und partizipative Großevents für ein breites Publikum. Man sperrt Autobahnen für Volkswandertage oder illuminiert riesige Industrieanlagen. Nur sind diese Formate in der Regel genau das Gegenteil von zukunftsträchtiger Innovation.
Ich möchte hier nicht die berühmte Garage für Tüftler und Bastler evozieren. In der Regel haben diese immer auch von großen Partnern profitiert. Aber in meiner Wahrnehmung ist es schon so, dass neue Entwicklungen in kleinen und geschützten Räumen geschehen und ihre Zeit brauchen, um auszureifen. Dementsprechend müsste man sich im Ruhrgebiet sehr viel mehr auf kleinteilige Strukturen einlassen, Qualität in den Vordergrund rücken und Zeit für Entwicklungen einräumen. Diese drei Grundsätze müssten sich auch in einer entsprechenden (Wirtschafts-)Förderpolitik wiederfinden.
So gibt es zum Bespiel zu wenig flexible Förderinstrumente, die auf die Bedürfnisse der Macher zugeschnitten sind. Gründungen könnten signifikant vereinfacht werden, wenn die Möglichkeit bestände, sich mit Hilfe einer unbürokratischen Anschubfinanzierung eine Zeit lang auf die Umsetzung einer neuen Idee zu konzentrieren. Das klingt riskant, weil zu Beginn ja niemals klar ist, ob die Idee tragen wird. Das wird man erst wissen, wenn man den Weg gegangen ist. Das Risiko ist daher unvermeidlich. Und es wäre hilfreich, dieses Risiko nicht allein dem Einzelnen zu überlassen, sondern ihn ein wenig zu unterstützen. In der Regel geht es dabei ja nicht um viel Geld, sondern lediglich darum, einem kreativen Menschen die Zeit zu finanzieren, die er benötigt, um mit den richtigen Leuten zu reden und seine Unternehmung anzuschieben.
Übrigens hat die städtische Agentur für Kreativwirtschaft von Wien „departure“ in den letzten zehn Jahren rund 30 Millionen Euro in Förderprogramme für Kreativunternehmer investiert und dadurch private Investitionen von rund 100 Millionen Euro mobilisiert. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass wir davon selbst in Berlin weit entfernt sind. Und als mich die Kreativwirtschaftsbeauftragte der Stadt Bochum mit dem Satz begrüßte: „Herr Sappelt, wir arbeiten hier seit zehn Jahren an dem Thema und nun kommen Sie…“ wurde mir klar, wie weit der Weg hier noch sein wird. Es braucht diesbezüglich auch eine neue Willkommenskultur.
Wie schätzen Sie die Marktsituation für Kreative im Ruhrgebiet ein?
Die wirtschaftliche Situation ist zwiespältig. Einerseits gibt es eigentlich nicht sehr viele Akteure, sodass die Konkurrenz eher gering ist. Andererseits gibt es aber auch nicht viele zahlungskräftige Kunden. Die wenigen größeren Aufträge scheinen dann immer diejenigen zu bekommen, die seit Jahren vor Ort etabliert sind und über entsprechende Kontakte verfügen. Das macht es für Neugründungen schwierig. Da nützen dann auch billige Räume nichts.
In Bochum ist zuletzt ein Co-Working-Space im Stadtzentrum gescheitert, weil es nicht genügend Nachfrage gab. Deshalb müsste man meines Erachtens erst einmal eine kritische Masse schaffen. Beim Angebot wie bei der Nachfrage. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Ein Ansatz wäre, sehr viel enger mit den Hochschulen zusammenzuarbeiten und den Weg vom Studium in die Selbständigkeit zu begleiten. Deshalb haben wir in unserem Konzept für den Campus Viktoria auch ein Gründerzentrum integriert, das auch bei der Vermittlung von Kundenkontakten behilflich ist. Ich bin überzeugt, dass es im Ruhrgebiet ein besonderes Entwicklungspotenzial gibt. Dieses Potenzial wird sich aber nicht einfach von alleine entfalten, sondern bedarf entsprechender Maßnahmen und langfristiger Entwicklungsstrategien.
Was müsste getan werden, damit sich Unternehmen der Kreativwirtschaft aus dem Ruhrgebiet erfolgreicher am Markt positionieren können?
Ich glaube, dass es bereits einige sehr erfolgreiche Unternehmen der Kreativwirtschaft gibt, die im Ruhrgebiet zuhause sind und seit langem überregional im Geschäft sind. Die Frage wäre deshalb vielleicht eher, wie es gelingen könnte, dass sich neue bzw. mehr Unternehmen ansiedeln – und wie der Markt selber wachsen könnte.
Das Ruhrgebiet ist ein großer Ballungsraum. Dass kreative Berufe einen entscheidenden Beitrag zur Attraktivität einer Stadt leisten und noch dazu auch einen wirtschaftlichen Nutzen haben, ist für viele Menschen in der Region aber noch immer eher fremd. Die Region war lange geprägt von Bergbau, Energiewirtschaft, Großindustrie. Kreativwirtschaft funktioniert kleinteilig, digital, smart. Dementsprechend muss es eine ganze Reihe an kreativwirtschaftlichen Unternehmen geben, um überhaupt sichtbar und wirtschaftlich spürbar zu werden. Ich vereinfache natürlich sträflich. Aber das macht den Punkt vielleicht klarer.
In der Konsequenz heißt das aber auch, dass es innerhalb des Ruhrgebiets einen Markt gibt, der noch darauf wartet, erschlossen zu werden. In dem Maße, in dem an die Stelle von Industriearbeitern und Energiedinosauriern gut ausgebildete und medial versierte junge Leute treten, die sich überzeugend gestaltete, ökologisch vernünftige und technologisch smarte Produkte und Dienstleistungen wünschen, wird auch der Markt im Ruhrgebiet wachsen. Und eben diese Entwicklung schafft dann auch die Basis für ein glaubwürdiges Image, das Kunden außerhalb des Ruhrgebiets anzieht – und das heute noch allzu aufgesetzt wirkt.
Welche Chancen und Potenziale bergen Kooperationen zwischen Unternehmen und Akteuren der Kreativwirtschaft für beide Seiten?
Das kommt natürlich auf die Branche an. In der Regel wird ja gerne auf kreative Problemlösungen und innovative Produkte rekurriert. Ich würde aber gerne über einen anderen Aspekt sprechen, der unsere eigene Arbeit betrifft: Wenn wir uns mit dem C60 für Projekte wie Campus Viktoria und Erlebnisraum Nachhaltige Entwicklung oder das Netzwerk Stadt-als-Campus engagieren, so tun wir das immer auch, um auch eine spezifische Form des Wirtschaftens zu stärken.
Das in den Stadtverwaltungen dominierende Verständnis von Immobilienwirtschaft trägt häufig dazu bei, dass unsere Städte heute so miserabel aussehen. Anstatt gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungsprozesse zu initiieren, werden wertvolle Liegenschaften nicht selten völlig intransparent an private Investoren vergeben, die letztlich nur der Profit interessiert. Die daraus resultierenden Einkaufszentren, Bürokomplexe und Wohncontainer bilden gerade das Gegenteil dessen, was für kluge und kreative Talente attraktiv ist.
Gleichzeitig gibt es heute eine Menge an Unternehmern, die ihr Geld bewusst in sinnvolle Unternehmungen investieren möchten. Die Claudius-Höfe in Bochum sind hierfür ein schönes Beispiel. Dementsprechend verspreche ich mir von einer konstruktiven Zusammenarbeit von Unternehmen und Akteuren der Kreativwirtschaft intelligentere, verantwortungsvollere und schlicht bessere Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen.
Welche Trends zeichnen sich in der Kultur-und Kreativwirtschaft ab?
Sie meinen im Ruhrgebiet? Oder generell? Ich habe den Eindruck, dass sich in vielen Städten, die sich nach Richard Florida spürbare Wachstumsimpulse von der Kultur- und Kreativwirtschaft erhofft hatten, inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingestellt hat: so leicht, wie vielleicht zunächst gedacht, wird das alles nicht zu haben sein. In den kleineren und mittelgroßen Städten hat dies vor allem damit zu tun, dass häufig die kritische Masse fehlt – an Produzenten wie an Konsumenten, an Angebot wie an Nachfrage. In einem bestimmten Sinne gilt das vermutlich auch für das Ruhrgebiet. In Bochum ist die Situation insofern anders, als dass wir in der Stadt gleich mehrere Hochschulen mit mehr als 50.000 Studierenden haben. Wenn es langfristig gelingt, diese jungen Talente in der Stadt zu halten und zu eigenen Unternehmungen zu ermutigen, könnte das einmal die kritische Masse bilden, die für eine lebendige und leistungsfähige kreative Szene erforderlich ist. Aber auch hier gilt: das wird nicht einfach so passieren, sondern muss gestaltet werden. Und zwar über mehrere Jahre hinweg…